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Antwort auf die mündliche Anfrage: Wie viele Tiere werden in Zukunft durch Windräder getötet?


Der Niedersächsische Minister für Umwelt, Energie und Klimaschutz Stefan Wenzel hat namens der Landesregierung auf eine mündliche Anfrage der Abgeordnetn Gabriela König, Horst Kortlang, Dr. Gero Hocker und Hillgriet Eilers (FDP) geantwortet.

Vorbemerkung der Abgeordneten

Immer wieder ist in der Presse von Tieren zu lesen, die in Windkraftanlagen getötet oder zumindest verletzt wurden. Da die Landesregierung die Zahl die Windkraftanlagen in Niedersachsen weiter ausbauen will, ist auch ein Anstieg der Kollateralschäden für die Tierwelt zu erwarten.

Vorbemerkung der Landesregierung

Die niedersächsische Landesregierung will zu einer erfolgreichen Umsetzung der Energiewende beitragen. Die Energiewende stellt auch einen Beitrag zum Erhalt des heimischen Natur- und Artenvielfalt dar, denn Klimaschutz und Artenschutz verfolgen grundsätzlich gleichwertige Schutzziele, die sich im wohl verstandenen Sinne langfristig ergänzen, kurzfristig aber auch Zielkonflikte bergen können. Die Windenergie als vergleichsweise kostengünstige und etablierte Technologie bildet das Kernstück der Energiewende im Stromsektor. Deren Ausbau ist ein wesentlicher Bestandteil nachhaltiger Klima- und Energiepolitik. Gleichwohl kann dies nur unter Beachtung des Artenschutzrechts erreicht werden, um zugleich auch einen Beitrag zum Erhalt des heimischen Natur- und Artenhaushalts zu sein.

Die speziellen betriebsbedingten Auswirkungen von Windenergieanlagen (WEA) betreffen insbesondere Vögel und Fledermäuse. Nicht alle Vogel- und Fledermausarten sind gleichermaßen durch WEA gefährdet. Bestimmte Arten gelten als überdurchschnittlich gefährdet und werden als windempfindlich bezeichnet. Dabei sind zwei betriebsbedingte Auswirkungen von WEA für verschiedene Vogel- und Fledermausarten zu unterscheiden, die im Zusammenhang mit den artenschutzrechtlichen Zugriffsverboten des § 44 Abs. 1 BNatSchG besonders relevant sind:

— Verbot Nr. 1: letale Kollisionen einschließlich der Tötung durch Barotrauma, sofern sich hierdurch ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko für die Individuen ergibt.

— Verbot Nr. 2: erhebliche Störwirkungen, sofern sich der Erhaltungszustand der lokalen Population verschlechtern kann.

Um den Anforderungen und Pflichten in Bezug auf den Artenschutz bei der Planung und Errichtung von Windenergieanlagen angemessen gerecht zu werden und einen möglichst umwelt- und sozialverträglichen Ausbau der Windenergienutzung zu unterstützen, hat das Niedersächsische Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz in einem gemeinsamen Runderlass mit dem Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, dem Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, dem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr und dem Ministerium für Inneres und Sport u.a. einen Leitfaden zur Umsetzung des Artenschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen verbindlich eingeführt.

1. Wie viele Tiere wurden in den vergangenen fünf Jahren in Niedersachsen durch Windkraftanlagen verletzt oder getötet? (bitte, wenn möglich, nach Jahr und nach Tierart aufschlüsseln)?

Die Staatliche Vogelschutzwarte des Landesamtes für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz Brandenburg trägt seit dem Jahr 2002 verfügbare Daten zu Kollisionen von Vögeln und Fledermäusen an Windenergieanlagen (WEA) in Europa und Deutschland zusammen. In standardisierter Form werden möglichst umfassend Angaben zu den gefundenen Vögeln und Fledermäusen, zu den betreffenden Windparks und zu den Fundumständen dokumentiert. Die Intensität der Kontrollen und die Bereitschaft zur Meldung von Anflugopfern sind sehr unterschiedlich. Bisher gibt es nur wenige flächenhafte und systematische Erfassungen von Anflugopfern, die den Charakter eines Monitorings haben. Trotz des systematischen Ansatzes ist daher der Inhalt der Datenbank heterogen, die Zahl der tatsächlich an Windenergieanlagen verunglückten Vögel dürfte höher anzusetzen sein. Für Niedersachsen weist die Datenbank ohne Differenzierung nach Jahren die folgenden Angaben auf:

  1. Vögel (Art, Anzahl)

    Schwäne und Gänse 14 (Schwan 4, Höckerschwan 7, Graugans 3),

    Enten 76 (Schnatterente 1, Krickente 2, Stockente 71, Reiherente 2),

    Hühnervögel 3 (Fasan 3),

    Taucher 1 (Haubentaucher 1),

    Reiher 6 (Rohrdommel 2, Graureiher 4),

    Störche 13 (Weißstorch 13),

    Greifvögel 108 (Fischadler 2, Wespenbussard 2, Wiesenweihe 4, Rohrweihe 4, Sperber 3, Rotmilan 26, Seeadler 4, Rauhfußbussard 1, Mäusebussard 49, Rotfußfalke 1, Wanderfalke 2, Turmfalke 10),

    Kraniche 2,

    Rallen 2 (Wasserralle 1, Blessralle 1),

    Regenpfeifer und Schnepfen 6 (Austernfischer 2, Goldregenpfeifer 1, Kiebitz 2, Großer Brachvogel 1),

    Möwen 180 (Lachmöwe 65, Sturmmöwe 27, Mantelmöwe 1, Möwe spec. 9, Silbermöwe 44, Heringsmöwe 34),

    (Fluss-) Seeschwalben 1,

    Tauben 23 (Haustaube 5, Hohltaube 4, Ringeltaube 14),

    Eulen 7 (Schleiereule 5, Waldohreule 1, Uhu 1),

    Segler 8 (Mauersegler 8),

    Krähenvögel 13 (Dohle 3, Saatkrähe 3, Aaskrähe 4, Krähe spec. 3),

    Lerchen 1 (Feldlerche 1),

    Schwalben 13 (Rauchschwalbe 5, Mehlschwalbe 8),

    Laubsänger 4 (Fitis 2, Zilpzalp 2),

    (Sumpf-) Rohrsänger 1,

    Goldhähnchen 9 (Winter- 3, Sommer- 5, Goldhähnchen spec. 1),

    Zaunkönig 1,

    Star 15,

    Drossel 1 (Amsel 1),

    Fliegenschnäpper 2 (Rotkehlchen 1, Steinschmätzer 2),

    Sperlingsvögel 2 (Feldsperling 2),

    Stelzen 1 (Bachstelze 1),

    Finkenvögel 5 (Buchfink 1, Kernbeißer 2, Grünfink 1, Goldammer 1),

    unbestimmte Singvögel 2

    Die bundesweite Schlagopferdatei verzeichnet für Niedersachsen aktuell 521 durch Windkraftanlagen getötete Vögel, darunter 106 Greifvögel. Die Schlagopfer verteilen sich landesweit auf bisher 70 Vogelarten.

  2. Fledermäuse 397 (Großer Abendsegler 123, Kleiner Abendsegler 16, Breitflügelfledermaus 15, Zweifarbfledermaus 10, Teichfledermaus 2, Zwergfledermaus 80, Rauhautfledermaus 126, Mückenfledermaus 3, Pipistrellus spec. 10, Mopsfledermaus 1, Braunes Langohr 1, Fledermaus spec.10)

Die bundesweite Schlagopferdatei verzeichnet für Niedersachsen mit Stand vom Dezember 2015 insgesamt 397 durch Windenergieanlagen getötete Fledermäuse. Diese verteilen sich auf bislang 10 Arten.

Für eine vollständige Bewertung der Gefährdung von Tieren durch von Menschen errichtete technische Anlagen müssen auch die Auswirkungen durch Straßenverkehr, Schienenverkehr, Luftverkehr, Landwirtschaft, Pflanzenschutzmittel und sonstige Anlagen und Einwirkungen berücksichtigt werden.

Nur beispielhaft seien hierzu nachstehend Untersuchungen zur Tötung von Vögeln durch den Straßenverkehr dargestellt.

Nach einer Abschätzung von Erritzoe J., Mazgajski T. D., Rejt L.: 2003. Bird casualties on European roads – a review. Acta Ornithol. 38: 78-93, sterben auf den europäischen Straßen jährlich zwischen 350.000 und 27 Millionen Vögel (Tabelle 1. zu 13 verschiedenen Studien).

Darüber hinaus könnte sich einer umfangreichen Studie von Huntley et al. (2007) zu Folge durch den Klimawandel das Areal europäischer Brutvogelarten im Durchschnitt um 20 % verkleinern und sich deren Verbreitungszentrum etwa 550 km nach Norden und Osten verschieben. Krüger et al. (2014) haben die Ergebnisse von Huntley und Mitarbeitern auf Niedersachsen übertragen. Dabei kommen sie zu dem Schluss, dass bei 154 von 196 Brutvogelarten klimabedingt mit einer Verkleinerung des Verbreitungsareals gerechnet werden muss. Dagegen stehen nur 27 Brutvogelarten, die von den prognostizierten Klimaveränderungen profitieren und ihr niedersächsisches Verbreitungsareal ausdehnen. Damit ist zu erwarten, dass der Klimawandel in Niedersachsen sehr weitreichende negative Konsequenzen auf den Artenreichtum und die Bestandszahlen bei Brutvögeln haben wird.

Der Ausbau der Windenergie ist ein wesentlicher Bestandteil deutscher und niedersächsischer Energie- und Klimapolitik. Mit dem Ausbau der Windenergie wird ein Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels geleistet, der zugleich ein Beitrag zum Erhalt des heimischen Natur- und Artenhaushalts ist.

2. Bei welchen Anlagen (Nabenhöhe, Rotorendurchmesser) starben in den vergangenen fünf Jahren in Niedersachsen wie viele Tiere?

Eine Aufschlüsselung der Schlagopferfunde auf bestimmte Anlagentypen lässt sich aus den beiden in Frage 1 genannten Schlagopferdateien nicht generieren.

3. Wie wird sich nach Auffassung der Landesregierung die Zahl der Vögel, Insekten und Fledermäuse (bitte, wenn möglich, aufschlüsseln), die durch Windräder verletzt oder getötet werden, mit dem von der Landesregierung geplanten Ausbau der Windkraftanlagen jeweils verändern (bitte möglichst mit dem geplanten Ausbaupfad bis 2020, 2030 und 2050 antworten)?

Diese Frage ist aus folgenden Gründen für keine der drei genannten Tiergruppen seriös zu beantworten: (1) Der Wissenstand um die Schlaggefährdung bestimmter Tierarten hat sich seit Errichtung der ersten Windenergieanlagen in Niedersachsen deutlich verbessert. So können schlaggefährdete Vogel- und Fledermausarten über Standortwahl und ggf. geeignete Abschaltalgorithmen heute wesentlich besser geschützt werden als noch vor 25 Jahren. (2) Der Ausbau der Windenergie war in der Vergangenheit kontinuierlich mit technischen Weiterentwicklungen und Neuerungen verbunden und wird dies auch in der Zukunft sein. So ist davon auszugehen, dass angesichts der fortschreitenden Technik das Landesziel von 20 GW installierter Windenergieleistung an Land bis 2050 mit weniger, dafür aber modernen und leistungsstärkeren Windenergieanlagen als heute (etwa 4.000–5.000 Anlagen; zum Vergleich Stand Ende 2015: 5.713 Anlagen) zu erreichen ist. Diese modernen und leistungsstarken Windenergieanlagen weisen gegenüber älteren Anlagen im Mittel größere Nabenhöhen und geringere Rotordrehgeschwindigkeiten auf. Insofern können die an Altanlagen gewonnenen Erkenntnisse zur Schlaggefährdung bestimmter Tierarten nicht ohne weiteres auf Anlagen neueren Typus übertragen werden. In der Konsequenz lassen sich somit Schlagopferzahlen aus der Vergangenheit nicht einfach proportional zum Ausbau der Windenergie fortschreiben.

Artikel-Informationen

erstellt am:
10.03.2016

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