Junge Gelbbauchunken wieder in Freiheit
Presseinformation vom 31. August 2010 // Von Menschen aufgezogene Tiere wurden in der Ballertasche ausgesetzt
Mehrmals täglich gab es in der Wildtier- und Artenschutzstation Sachsenhagen im Landkreis Schaumburg Fruchtfliegen, Mini-Grillen und Tubifexwürmer, gierig haben die kleinen Gelbbauchunken das Futter verschlungen. Jetzt hat der Luxus ein Ende: Am Dienstag wurden 30 von Menschenhand aufgezogene Unken wieder in die Freiheit entlassen. Freiheit - das ist das Kiesabbaugebiet Ballertasche an der Weser nördlich Gimte bei Hannoversch-Münden im Landkreis Göttingen - dort sollen sie sich nun weiter vermehren. Unter Beobachtung bleiben sie dennoch: Während sich Dr. Florian Brandes, der Leiter der Wildtier- und Artenschutzstation Sachsenhagen, weiter um die Aufzucht und den Aufbau einer Zuchtgruppe kümmert, wird der Amphibien-Experte Richard Podloucky vom NLWKN (Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz) aus Hannover ihre weitere Entwicklung im natürlichen Lebensraum genau verfolgen.
Die Gelbbauchunke ist in Niedersachsen vom Aussterben bedroht. In Niedersachsen leben nur noch zwischen 1000 und 1500 erwachsene Tiere: „Das ist beängstigend wenig", betont Podloucky. Im Kiesabbaugebiet Ballertasche bei Hannoversch-Münden ist der Bestand der Gelbbauchunke von knapp 100 Tieren Anfang der 1990er Jahre trotz regelmäßiger Pflegemaßnahmen im Lebensraum auf 20 bis 30 Tiere zusammengeschmolzen. „Deshalb haben wir uns entschlossen, Gelbbauchunken in Menschenhand aufzuziehen und wieder in den Lebensraum zurückzubringen", erläutert Podloucky das Procedere.
Zunächst ist dieses so genannte Ex-situ-Projekt - übrigens das erste für Gelbbauchunken in Deutschland - über drei Jahre geplant: „Sollte es dann bereits Erfolge zeigen und die Population vor Ort wieder zunehmen, können wir es beenden. Sonst wird geprüft, wie man weiter vorgeht", betont Podloucky.
Der Rückgang der Bestände in der Ballertasche hängt damit zusammen, dass die längerfristig für die Gelbbauchunke gesicherten, nicht mehr im Abbau befindlichen Flächen durch starke Vegetationsentwicklung (Bäume, Büsche, Bodenvegetation) zunehmend zuwachsen und für die Gelbbauchunke unattraktiv werden. Die Gelbbauchunke folgt dem aktuellen Bodenabbau, da hierbei immer wieder in Fahrspuren und Senken geeignete, vegetationsfreie Laichgewässer entstehen. Das Problem: „Die aktuellen Abbauflächen liegen zu weit von den früheren Gelbbauchunken-Lebensräumen entfernt. Damit ist die Chance, dass sich die 20 bis 30 in der Kiesabbaugrube lebenden Unken an geeigneten Gewässern treffen, verhältnismäßig gering", berichtet der Experte vom NLWKN.
Erstmalig wurden in diesem Jahr im Rahmen der Niedersächsischen Strategie zum Arten- und Biotopschutz in zwei Fangaktionen durch das Artenschutzbüro Abia im Juni und August 146 Gelbbauchunken-Kaulquappen aus kurz vor der Austrocknung stehenden Flachgewässern entnommen und zur Aufzucht in die Wildtier- und Artenschutzstation Sachsenhagen gebracht.
Während die zuletzt eingetroffenen noch als Kaulquappen im Aquarium ihre Kreise ziehen und sich dort von Wasserpflanzen und gängigem Aquarienfischfutter ernähren, haben sich von den ersten Kaulquappen bereits 72 in kleine Miniunken verwandelt.
Weil derzeit keine Erkenntnisse über den besten Zeitpunkt der Ausbringung der Jungtiere vorliegen, ging der NLWKN auf Nummer sicher: „Wir bringen die herangezogenen Jungunken in verschiedenen Altersphasen zurück in die Ballertasche", erläuterte Podloucky. 31 Jungunken wurden bereits Mitte August wieder in Freiheit gesetzt; weitere 30 Jungunken wurden am Dienstag ausgesetzt.
Um herauszubekommen, welches der richtige Zeitpunkt einer erfolgreichen Ausbringung ist bzw. wie alt die Jungtiere sein sollten, hat Podloucky alle Tiere vor dem Aussetzen auf der Bauchseite fotografiert: „Die Gelb-Schwarz-Zeichnung jedes einzelnen Individuums ist so charakteristisch, dass man die Tiere wie mit einem Fingerabdruck wieder erkennen kann", ist sich der Experte sicher.
Gelbbauchunken - Weitere Infos zum Hintergrund:
Das europäische Gesamtverbreitungsgebiet der Gelbbauchunke, das sich von Frankreich bis in die Ukraine und über den Balkan und die Apennin-Halbinsel erstreckt, erreicht in Südniedersachsen seine nördlichsten Ausläufer. Die Mittelgebirgsschwelle stellt gleichzeitig die heute bereits in zahlreiche Verbreitungsinseln zerfallene nördliche natürliche Arealgrenze dar. Alle heutigen Vorkommen (derzeit 15) liegen in der kontinentalen Region innerhalb der Naturräumlichen Region „Weser- und Leinebergland". Ein isoliertes Einzelvorkommen liegt in der Ballertasche im Wesertal (Landkreis Göttingen).
Aufgrund der nördlichen Arealgrenze in Niedersachsen und beträchtlicher Rückgänge hat Niedersachsen eine besonders hohe Verantwortung für diese Art. Der Erhaltungszustand der Gelbbauchunke in Niedersachsen muss aufgrund eines derzeit negativen Populationstrends, eventuell bedingt durch Aufgabe von Bodenabbau, zunehmende Sukzession, aber auch witterungsbedingter Veränderungen als unzureichend eingeschätzt werden.
Die ursprünglichen Lebensräume der Gelbbauchunke in den Talauen der Mittelgebirgsflüsse sind heute zerstört. Die meisten niedersächsischen Gelbbauchunken-Populationen siedeln in Abbaugruben und sind, wenn der Bodenabbau endet, nur mit hohem Aufwand langfristig zu erhalten. Beeinträchtigungen nach Beendigung des Abbaubetriebes sind: Verfüllung (Bodendeponie) und nachfolgende Aufforstung oder landwirtschaftliche Nutzung, Rekultivierung, natürliche Sukzession (Verlust von Rohböden, Verlandung der Gewässer und Verschattung durch Entwicklung von Hochstaudenfluren und Gebüschen). Natürliche Faktoren wie der Witterungsverlauf eines Jahres beeinflussen die Bestände und ihren Reproduktionserfolg zusätzlich in erheblichem Maße.
Die Gelbbauchunke gilt daher entsprechend der Roten Liste als „vom Aussterben bedroht" in Niedersachsen. Als Art der Anhänge IV und II der europäischen FFH-Richtlinie ist die Gelbbauchunke streng zu schützen und es müssen eigens Schutzgebiete für sie ausgewiesen werden.
Um der Art geeignete Lebensräume zu erhalten und neue zu schaffen, ist ein gezieltes, auf die Ansprüche der Gelbbauchunke abgestimmtes Biotopmanagement erforderlich. Dabei muss eine bestimmte „Prozessdynamik" nachgeahmt werden, die entweder in den laufenden gewerblichen Betrieb in einer Abbaugrube zu integrieren oder aber allein mittels regelmäßiger landschaftspflegerischer Eingriffe zu erzeugen ist. Dazu muss ein Mosaik aus frühen Sukzessionsstadien (besonnte Lehm- oder Tontümpel, Rohbodenflächen) geschaffen und durch Bewirtschaftung oder Pflegeeingriffe immer wieder neu initiiert werden. Entsprechende Maßnahmen in den Habitaten werden seit mehr als 20 Jahren durch die Fachbehörde für Naturschutz (NLWKN) oder unter deren Mitwirkung durchgeführt und sollten auch zukünftig vorgesehen werden.
Geeignete Maßnahmen sind:
§ Regelmäßiges Abschieben von Oberboden mit Vegetationsdecke und Anlage von Laichgewässern
§ Pflege von Laichgewässern, z. B. manuelle Entfernung von aufkommendem Schilf und Rohrkolben oder Wasserpflanzen während der Vegetationsperiode
§ Entnahme und Beseitigung von beschattendem Gehölzaufwuchs
§ Beweidung mit Rindern oder Pferden
§ Bestandsstützende Maßnahmen (Entnahme von Elterntieren, Eiern oder Larven und Ex-situ-Aufzucht).